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Sex worth wanting

Ayurveda, oder die Weisheit vom langen Leben hat nicht nur eine subtile Reinigungskultur und einen spirituellen, ganzheitlichen Lebensstil hervorgebracht, sondern gab auch der Sexualität für ein langes, gesundes Leben ihre gebührende Wertschätzung. Auch wenn sicherlich nicht nur in Europa Tabuisierungen des Triebhaften gegenüber dem hochgepriesenen rein Geistigen lange kulturgeschichtliche Tradition haben, so entwickelte der Ayurveda dennoch Sichtweisen, in denen diese Gegensetzlichkeit als Einheit betrachtet wird. In der christlichen Tradition postuliert das Jungfräulichkeitsideal eine Verbots- und keine Lustkultur. „Denn keine menschliche Fähigkeit wird in ihrer Entwicklung von der Gesellschaft so wenig wertschätzend begleitet und verstanden wie die Sexualität“ (Dania Schiftan).

Wenn die Intensität sexueller Erregung unseren Körper ergreift, verändert sich binnen Sekunden unsere Herzfrequenz, Muskelspannung und Atmung. Unsere Schmerzwahrnehmung nimmt ab, die Sensorik verstärkt sich und wenn unsere Erregung die wesentliche Schwelle erreicht, passiert die orgastische Entladung, bei Frauen ebben bis zu 30 rhythmische Kontraktionen in einer wohligen Entspannung ab. Die Forschung über sexuelles Lusterleben steckt allerdings in den Kinderschuhen (Komisauk, Whipple a. Beyer 2010).

Um etwas Licht auf die Sache zu werfen, möchte ich einige Highlights aus dem 2016 im Carl Auer Verlag erschienen Band „Der erotische Raum“ von Dr. Angelika Eck wiedergeben und zur Sprache bringen.

Viele Menschen schränken ihr Lusterleben beim Sex durch eine Versteifung des Körpers ein, welcher aber eine neurophysiologische Einheit mit dem Hirn bildet. Karoline Bischof, eine der AutorInnen des Bandes bringt dazu ein einfaches Experiment: “Stoßen Sie einen Ruf der Begeisterung aus, etwa „Toooor!“, begleitet von einer starken Gestik und Mimik. Tut man den gleichen Ruf mit starrer Mine, so wird er sich nicht gleich intensiv anfühlen. Emotionen sind eben auch körperliche Phänomene und die Art, wie wir über Sex denken oder übernommene Glaubenssätze stellen Schlüsselkomponenten sexuellen Lusterlebens dar.

Dabei ist das weibliche Selbstbild entscheidender für die sexuelle Lust und Erregung, als die Sicht des Partners oder der Partnerin. Die persönliche genitale Selbstsicherheit bestimmt, wieviel Bewegung Frauen zur Erregungssteigerung einsetzen. Es ist die Lust am Sex, die die Lust auf Sex bestimmt. Ist dessen Preis oder Qualität diesen nicht wert, so gibt es auch keine große Nachfrage. Lustlosigkeit dabei als Kompetenz zu begreifen ist eine der zentralen Botschaften des Buches. Wo wir bei dem großen Dilemma vieler Ehen wären, in denen vor allem Frauen über ihre Lustlosigkeit klagen. Bei Männern ist die vorzeitige Ejakulation weit verbreitet, welche auch eine gewisse Hemmung aus Performance-Angst, Hemmung aus Angst vor den Konsequenzen oder auch eine tiefsitzende Verweigerung in sich bergen kann. Sie sollten es ja letztlich bringen, egal wieviel Lust Mann oder Frau nun tatsächlich hat unter den gegebenen Umständen und in Zeiten wie diesen.

In einer Studie zu den Gründen ihre Lustlosigkeit nannten Frauen folgende Hauptfaktoren:

  • Institutionalisierung der Beziehung durch die Ehe (die unsicheren, Abstand gewährenden Elemente der Beziehung sind eliminiert)
  • Übervertrautheit (der Sex läuft immer gleich, der Partner wird nicht als achtsam erlebt)
  • Multiple entsexualisierte Rollen (berufstätige Frau und Mutter, mein Mann ist mein drittes Kind,…)

In den etablierten Beziehungen gibt es oft emotional oder räumlich zu wenig Autonomie, um den Partner begehren zu können, sein Begehren als attraktiv wahrzunehmen oder auf die lustbetonten Aspekte des eigenen sexuellen Lebens zu fokussieren. Für Frauen ist es daher existenziell, den Pol ihrer Autonomie und Grenzen zu stärken. Nähe und Distanz, Verbundenheit und Differenzen gilt es zu leben. Das sexuelle Wollen und Begehren sind zentral, nicht das sexuelle Funktionieren, welches für viele eine meist unbewusste Ablehnung bewirkt.

Frauen glauben oft permanent verfügbar sein zu müssen, stets bemüht, die Bedürfnisse der Mitmenschen erahnen und den Raum lesen zu müssen. Manche Frauen nehmen ihre eigenen Bedürfnisse zwar wahr, verzichten aber lieber darauf, wenn ein Konflikt dadurch entstehen könnte. Sie möchten keine Spielverderber sein und gemocht werden. Emotionale Bedürfnisse und Konflikte, Selbstwertgefühl und erotisch-emotionale Überlebensstrategien werden auf der sexuellen Bühne inszeniert. Dabei tut Frau auch oft, “was gute Mädchen nicht tun”, um sich überlegen und stark zu fühlen. Anpassungsdruck erzeugt aber Lustlosigkeit und sexuelle Probleme sind somit immer auch Beziehungsprobleme.

Der eigene Raum der Frau, ihr Gefühl autonom und sicher zu sein und der Prozess, äußere sexuelle Erwartung loszulassen und sich der eigenen Bedürfniswelt zuzuwenden, sind Grundvoraussetzungen für sexuelles Begehren. Es gibt auch ein weibliches Bedürfnis, sich zu verschließen und die Selbstintegrität zu erhalten und es geht schließlich darum, die AutorInnen unserer eigenen Selbstrealisierung und Selbstachtung, Lust und Unlust zu werden. Auch ein klares Nein für eine konkrete Person, unstimmige Situation oder Sequenz bzw. ein So-Nicht-Wollen schmieden das heiße Eisen. Und sexuelle Unlust bringt die Fähigkeit zum Ausdruck kritisch zu prüfen, auf wen oder was man sich sexuell einlassen möchte und was uns sexuell nicht entspricht. Die Funktion der Hemmung spielt dabei immer eine konstruktive Rolle.

Denn das mangelnde sexuelle Interesse unter unattraktiven Gegebenheiten ist per se nicht als Defizit, sondern als Ressource zu begreifen und zeigt auf, dass der Zugang zum eigenen Begehren konflikthaft ist. Oft gibt es tiefer liegende existentielle Emotionen, die mit dem sexuellen Symptom zusammenhängen, wie Einsamkeit, Trauer, mangelnder Selbstwert. Anstatt die sexuelle Dysfunktion zu korrigieren, „dringt man direkt zu ihrem Kern vor…hört ihrer Botschaft zu“ (Keen 1979). Meist sind es der Paarkonflikt und soziale Realitäten, die man aushandeln muss. Frauen sollten sich, ebenso wie Männer, beherzt die Frage stellen: Wie passt meine Sexualität zu mir?

Meist hat eine Frau in einer lustlosen Position gar keinen Spielraum mehr für ihr Begehren, ihre Lebendigkeit, Fantasien und Sinnlichkeit. Je mehr Möglichkeiten wir haben, lustvoll zu agieren und uns zu erleben, umso größer wird auch unsere Lust auf Sex. Der Zugang zu sexuellen Fantasien kann dabei ein tieferes Verständnis für die eigene Erotik, zum Wollen und Nicht- Wollen herstellen, sie sind wie eine Landkarte der Erotik und helfen, diese in Besitz zu nehmen.

Was könnte ein anspruchsvolles Ziel darstellen für die Persönlichkeitsentwicklung beider Partner, das über die Beseitigung von Funktionsstörungen hinausgeht? Wie könnte das eigene sexuelle Spektrum erweitert werden entlang einer Neugier, die in ihrem eigenen Tempo geschieht und Frauen dazu befähigt in von innen geleiteter Weise mit dem eigenen Begehren verbunden zu sein und diese Verbindung in einer sexuellen Begegnung halten zu können?

Die gesamte erotische Feinabstimmung eines Paares schwingt ja zwischen Erregung und Hemmung, idealerweise in einem Wechselspiel aus einem kompetenten Ja und einem kompetenten Nein. Wenn der Körper offenbar nein sagt, hat er möglicherweise seinen guten Grund und macht eine Aussage. Subjektiv erlebte Bedrohung durch Befürchtungen vor Beschämung, Scheitern, Gesichtsverlust etc. kann schon Grund genug sein um eine sexuelle Hemmung auszulösen. Auch lassen die lebensgeschichtlich geprägten Muster und Erfahrungen den Partnern oft nur einen kleinen Spielraum. Wie gelingt es dem Spielraum einer „Ein-bisschen-Situation“ auch bereits eine Chance zu geben?

„Denn der Fluss der sexuellen Energie fließt von selbst und man kann warten, bis er einen erreicht – oder auch nicht, und man kann mehrfach ein- und aussteigen.“ (Diana Ecker).

Man kann sich leicht vorstellen, dass das sexuelle Verlangen unserer weiblichen Vorfahren sehr geschwächt wurde und dass sie sich ihren Männern sexuell verweigerten, als sie von ihnen zum Eigentum degradiert wurden.“ (Schnarch 2001). David Schnarch, einer der wesentlichen amerikanischen Sexualtherapeuten hilft Menschen bei sich zu bleiben. Ist die Selbst-Objektivierung bei Frauen stark ausgeprägt, so lenken sie während sexueller Handlungen die Aufmerksamkeit auf ihr Äußeres, sodass sie sich weniger auf ihr sexuelles Erleben konzentrieren.

„Wenn Frauen bei sich bleiben, ein stabiles und flexibles Selbst entwickeln und sich ihrer köstlichen anatomischen Ausstattung zuwenden, sich ihrem ausgedehnten, aktiv reagierenden weiblichen Schwellkörpersystem widmen und das Geschmeide, das sie wie einen Schatz zwischen den warmen Schenkeln hüten, entdecken und polieren, könnte auch die Lust auf ihren Sex aufblühen“ (Schnarch, 2001).

Wie sind ihre Eltern mit Körperlichkeit umgegangen? Körperfürsorge durch Eincremen, Baden oder Sichstreicheln baut Vermeidungsverhalten ab und führt zu einer erhöhten Körpersensitivität, bei welcher es darum geht, was die Frau/der Mann selbst empfindet. Durch ein achtsames, nicht bewertendes Verhalten kann ein fürsorglicher Umgang mit dem eigenen Körper geübt werden. Auch gefühlvolle (Selbst-)Massagen sind hierfür wunderbar geeignet, womit wir wieder beim Ayurveda wären und der Kreis sich hier wieder einmal schließt.

 

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